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Bauernprotest in Belzig

Einen solchen Tag hatte Belzig noch nie erlebt.

Der erste Vorsitzende des Kreislandbundes, Herr Marschalleck, eröffnete die Versammlung mit einer Erklärung der Gründe, weshalb der Landbund das damals moderne Mittel des Massenaufmarsches gewählt hatte, um ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu geben.
„Denn nicht anderes als die schwere Not hat uns veranlaßt, zusammen zu kommen. Die Landwirtschaft steht auf sich alleine angewiesen da. Im vergangenen Jahre haben Steuern und Zinsendruck die niedrigen Preise der landwirtschaftlichen rlebt. Am Sonnabend, den 15. Mai 1926 war die Stadt voll tausender Fahrräder und Bauern aus dem ganzen Kreis. Der Landbund, die größte und zu der Zeit wohl einflußreichste Organisation im Kreise, hatte zu einer Protestkundgebung aufgerufen.

Die Belzig-Reetz-Wiesenburger Zeitung schätzte die Zahl der Teilnehmer auf 2500. Das Zauch-Belziger Kreisblatt sprach von mehr als 3000. So gut wie alle waren in die Kreisstadt geradelt. Ab 10 Uhr füllten sich die Straßen. Um Punkt 11 Uhr begann im Kirstens Hotel die Generalversammlung, die infolge der großen Zahl der Teilnehmer sowohl im Saale als auch im Garten abgehalten werden mußte.

Produkte hervorgerufen. In diesem Jahre droht dieselbe Gefahr. Wenn nicht grundlegende Maßnahmen der Regierung eintreten, so geht auch die kommende Ernte für einen Pfifferling weg und die jetzt schon nicht zu ertragenden Schuldenlast vergrößert sich bis zur Vernichtung unserer Existenz.“

Weitere Redner forderten Disziplin beim Umzug und erinnerten die Teilnehmer, daß nicht die entsprechenden Personen, sondern das System bekämpft werden sollte. Der Landbund war stramm konservativ, lehnte die republikanische Staatsform ab und sah insbesondere in dem sozialdemokratisch regierten preußischen Staat die tiefere Ursache für die Probleme der Landwirte.

Tatsache ist, daß der Landbund sich zu der Demonstration entschlossen hatte, in der Hoffnung, die zunehmend radikalisierte Bauernschaft noch unter Kontrolle zu halten. Die Führung des Landbundes sah in der Radikalisierung der Basis eine Gefahr für die eigene Machtposition. Vom 14. bis zum 17. Mai 1926 fanden in der Provinz Brandenburg öffentliche Kundgebungen statt. In 25 Kreisen demonstrierten rund 52000 Bauern. Die Demonstrationen verliefen relativ friedlich trotz der Wut der Bauern. Allerdings konnte in Ruppin nur in letzter Minute der Sturm auf das Finanzamt verhindert werden.

Herr Marschalleck forderten die Teilnehmer auf, auf der Straße Aufstellung zu nehmen. Die Männer stellten sich in Reihen zu sechs auf. Die meisten von ihnen waren Kriegsteilnehmer gewesen. Marschieren hatten sie gelernt. Vorneweg waren die Trommler des Junglandbundes. Es folgte die Fahne, der engere Vorstand und dann die zwölf Bezirke.

Der „schier endlose Zug“ marschierte zum Kreishaus. Dort wartete der Landrat, Dr. Bohne. Der Hauptredner war Wilhelm Gauger. Der populäre Gauger, der 7,5 ha in Beelitz bewirtschaftete, saß für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) im preußischen Landtag. Er kletterte auf den bereitgestellten Wagen, der als Rednerstand diente.
„Wir haben nun endlich gelernt, daß in der nachrevolutionären Zeit nur der sein Recht findet, der sich im Notfalle auch der äußersten Mittel bedient.“

Der Redner versuchte dem Landrat die Not des Bauern im Kreise Zauch-Belzig zu beschreiben.
„Denn bis zu welcher Höhe ist die Not bis heute schon gediehen? Kartoffeln sind unverkäuflich, für die wenigen Brennereien im Kreise ein großen Angebot von Kartoffeln und zu welchem Preise? – Eine ganze Mark pro Zentner! Die Hauptmasse des Roggens durch Steuern und Zinsdruck längst aus unserer Hand, zu Preisen, die die Produktionskosten vielleicht zu zwei Dritteln decken. Alle, die Bedürfnisse des täglichen Lebens, die öffentlichen Lasten, als wie sind die Reichssteuer, die Staats- und Kommunalsteuern, die Krankenkassenbeiträge, die Berufsgenossenschaftsbeiträge, usw. usw. dauernd zehrend an der Substanz, dauernd unsere Lebenshaltung herabdrückend, in schlimmsten Fällen heute schon ähnlich der des lieben Viehes.“
Die unruhige Masse meldete immer wieder lautstark ihre Zustimmung.
Herr Gauger erklärte, der Landbund sei bereit, dem neuen Staat zu dienen und zu helfen, wenn der preußische seine „Bauernfeindlichkeit“ aufgäbe.

Am 6. und 7. Mai hatte es in Darmstadt eine Tagung des Landwirtschaftsrates mit Reichskanzler Luther, Reichslandwirtschaftsminister Dr. Haslinde und dem Präsidenten der Reichsbank Hjalmar Schachtgegeben, um die Not der Landwirte zu besprechen und Lösungen zu suchen. Herr Gauger nannten die Versprechungen von Darmstadt eine „Fassade der Bauernfreundlichkeit“.
„Ich von mir aus bin der felsenfesten Überzeugung, daß die Realisierung, d.h. Verwirklichung der Darmstädter Versprechungen, nur unter äußerstem Druck der notleidenden Bauernmasse von unten herauf erzwungen werden kann.“

Er warnte den Landrat, das friedliche Demonstrieren könne „bei weiteren Versagen der preußischen Regierung“, den Führern des Landbundes aus den Händen gleiten und eine Gefahr für den Staat werden.

In seiner Antwort betonte Herr Landrat von Bohne das Positive und bedankte sich für das „Bekenntnis“ zum neuen Staat, auch wenn dieses „Bekenntnis“ nur bedingt war. Er äußerte Verständnis für den Ärger der Landwirte, warnte aber vor Ungeduld.
„Herrn Gauger zitierte Aufführungen der führenden Männer des Reiches in Darmstadt zeigen ja auch, daß die von der Landwirtschaft gewünschte wirtschaftspolitische Entwicklung im Anzuge sei, wenn sie sich ja auch vielleicht nicht so schnell durchsetzen wird, wie viele der Versammelten glauben verlangen zu müssen.“

Dabei war die politische Situation im Reich im Fluß. Am 12. Mai mußte Reichskanzler Luther zurücktreten. Erst am Tag nach der Belziger Demonstration konnte Wilhelm Marx von der Zentrumspartei als Kanzler vereidigt werden, nachdem es dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer nicht gelungen war, eine Regierung zu bilden. Das Kabinett von Marx war allerdings identisch mit dem von Luther.

Herr Gutspächter Reimer aus Bliesendorf bestieg nun den Wagen und verlangte einen Erlaß der preußischen Grundsteuer und weiter, „daß der Kreis Zauch-Belzig zum Notstandsgebiet erklärt wird“.

Die Lage der Landwirte war in der Tat dramatisch. Ihre Not war aber auch zum Teil selbstverschuldet. Die Betonung der hohen Steuerbelastung als Grundübel des landwirtschaftlichen Schuldenberges war aber nur ein geschickter taktischer Schachzug. In der Zeit der großen Inflation konnten sie ihr Schulden mit dem billigen Papiergeld tilgen. Danach verschuldeten sich viele Landwirte leichtsinnigerweise aus wirtschaftlicher Kurzsichtigkeit. Jetzt mußten viele ihre Produkte zu ungünstigen Preise verkaufen, um die Zinsen ihrer Kredite zahlen zu können. Da blieb für die Steuer, die in der Tat um das fünffache höher als in der Kaiserzeit waren, und für die Krankenkassenbeiträge nichts übrig.

Der Zug formierte sich wieder und marschierte zum Katasteramt, wo Herr von Jorck zu der Menge sprach.
„Wir fühlen uns verlassen von aller Regierungen und Parteien. Wir wollen uns und unsere Kinder weder durch Unvermögen, noch durch bösen Willen noch durch einen entarteten Bürokratismus von Haus und Hof verjagen lassen!“

Die Demonstranten zogen weiter zur Landkrankenkasse, wo Herr Reimer die „Unsinnigkeit„
„von einer schwer ringenden geldknappen Landwirtschaft hohe Beiträge für eine an sich notwendige soziale Einrichtung zu fordern. Was nutzt alles, erst muß die Rentabilität der Landwirtschaft hergestellt werden, dann ist für soziale Einrichtungen das notwendige Geld da. Jetzt ist für den Landwirt die Landkrankenkasse eine zu schwere Belastung.“

Der Leiter der Krankenkasse versuchte sich zu verteidigen; die aufgebrachte Menge ließ ihn aber nicht zu Worte kommen.

Die Demonstration kehrte zum Marktplatz zurück, wo Herr von Jorck die Regierungen und Parteien davor warnte, „unsern Notruf unbeachtet zu lassen. Wir sind bereit zum Kampf, den man uns aufzwingt.“

Er zitierte Friedrich Schiller:

„Wir wollen frei sein wie die Väter waren,
Ehe den Tod als in der Knechtschaft leben.
Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen“


Er schloß mit einem Treuegelöbnis für den Landbund.

„Möge es hinaufdrängen zu den Ohren der Regierungen, möge es hinaufdrängen zu unseren Führern, möge es dem deutschen Volke in allen seinen Schichten zeigen, daß der deutsche Bauer, der deutsche Landwirt nicht gewillt ist, sich kampflos abwürgen zu lassen. Hoch halten wir unsere Fahne mit den goldenen Ähren. Sie möge uns als unser Panier vorauswehen im Kampfe um unsere Existenz. Treue wollen wir ihr geloben bis zum Letzten.“

Nach einem dreifachen Hoch auf den Landbund gingen die Bauern um 2 Uhr auseinander und fuhren mit ihren Fahrrädern nach Hause.

 

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